Drosseln, eine Familie der Meistersänger

von | Apr. 18, 2025

Wenn man jetzt rausgeht, empfängt einen überall die üppige Pracht der zu blühendem Leben erwachenden Natur. Es spriesst und sprosst, die Blätter und Blüten stossen raus und verbreiten einen vielfältigen Farben- und Duftreichtum in der Landschaft. Dies trifft zusammen mit der geschäftigsten Periode des Jahres in der Vogelwelt. Wo man hinschaut ein Singen, Balzen, Nest vorbereiten. Schon meistens vor der Haustüre, je nach dem wo man wohnt, aber bei vielen dürfte dies zutreffen, hört man eine wohltuend flötige, fröhlich-feierliche Vogelstimme, die sich zum Teil wie ein Schirm über viele andere Gesänge drüberlegt. Es ist dies der Gesang der Amsel. Zwei Grundmuster sind zu erkennen: einmal sonorige einleitende Töne im 2 bis 3 khz Bereich, gefolgt von zwitschernden Elementen in einem deutlich höheren Bereich; und ein andermal flötig-pfeifende Strophen, die in einer entspannt gechillten Art dargeboten werden, und im unteren Bereich bleiben. Rund um diese Muster herum, die selbst immer wieder abgewandelt werden können, gibt es unendlich viele Ausschmückungen, Schnörkel und Verästelungen. Es scheint ihr richtiggehend Spass zu machen, der Amsel bzw. dem Amselmännchen, ständig neue Muster und Abfolgen zu komponieren. Aus der Beobachtung schliesse ich, dass die komplexeren Gesangsmuster über die Jahre gelernt und erweitert werden. Jüngere Männchen „hauen sich noch nicht so ins Zeug“ und haben einfachere Kombinationen und einen etwas leiseren und einfacheren Jugendgesang. Der Amselmann pflegt es, sich auf eine erhöhte (hohe) Singwarte zu begeben, teilweise ein, zwei Ästchen unter der Spitze eines Baumes, auf den Dachgiebel oder eine Hausdachecke, um seiner Darbietung möglichst grosse Wirkung zu verleihen. Damit wird ein Raum akustisch belebt und abgesteckt, der in der Folge für die Balz, die Paarung und die Brut und Aufzucht der Jungen dient. Auf die vielen anderen Lautäusserungen der Amseln, wie das „tixen“, „duken“, „zetern“ u.a. gehen wir hier nicht detaillierter ein, das könnte mal ein eigener Beitrag zur Vogelsprache werden. Absolut beeindruckend ist die Ausdauer beim Gesang, der gefühlt von fünf am Morgen bis acht am Abend beinahe durchgehend anhält.

Amselmännchen, birds-online.ch

Wenn man die letzten Wochen und noch immer, aus der Stadt oder aus dem Dorf noch weiter rausgegangen ist, über eine grosse Wiese zu einem Waldrand hin, konnte man besonders in den Morgen- und Abendstunden noch andere, sehr wohltuend-berührende Gesänge wahrnehmen. Einer davon, einer meiner Lieblingsgesänge, kommt von den Misteldrosseln. Die Strophen sind einfacher aufgebaut als bei der Amsel. Sie bleiben in der Regel durchgehend im 2 bis 3 khz Bereich, vermögen aber auf eine ganz besondere und eingehende Art und Weise zu berühren. Öfter singen mehrere Misteldrosseln gleichzeitig, und sie schaffen es dabei immer wieder, sich an einem Waldrand in den besten akustischen Positionen zu platzieren und eine nach der anderen ihren Gesang ertönen zu lassen, so dass es klingt, wie in einem Amphitheater, ineinander, übereinander gehend, und wie von überall her. Die Stimmung, die dabei entsteht, ist für mich bedeutungsvoll, weit aufmachend und viele Stränge verbindend. Ich freue mich jedesmal sehr, wenn ich an so einen Platz laufe, und dann die Gesänge über mich rieseln lassen kann.

Misteldrossel, birds-online.ch

Und so gebannt, diesem wohltuend Klangschauer lauschend, tut sich auf einmal eine zusätzliche Welt auf. Ab und zu aus dem Wald heraus aber auch von einem anderen Baum am Rande der Lichtung ertönt, fast wie eine Fanfare, aber ebenso angenehm und wohltuend klingend wie bei den beiden bereits erwähnten Schwesterarten, ein beeindruckender, volltöniger Paradevogelgesang. Hier ist das Grundmuster, dass ein Motiv, ebenfalls im unteren Tonbereich, zwei- bis viermal wiederholt wird, und dann das nächste Motiv mit zwei- bis viermaliger Wiederholung folgt. So entstehen immer wieder überraschende und neuartige Abfolgen und Kombinationen, fast als würde eine Klangperlenkette aufgefädelt. Da der Gesang schon von weitem zu hören ist, gehe ich immer wieder mal langsam in die Nähe und stelle mich hin und lausche gebannt der Anderswelt, die sich hier ganz besonders zu offenbaren scheint. Dieser Vogel trägt den Namen nicht von ungefähr: die Singdrossel. Sie sieht neben dem, dass sie faszinierend singen kann, auch noch ganz hübsch aus. Sie ist etwas kleiner als die Amsel, hat auf der Oberseite ein grau-braunes Gefieder, ist auf der Unterseite cremig-weiss, das Kinn und die Kehle sind beige und die Flanken gelblich, und dazu ist fast die gesamte Unterseite mit braun-schwarzen Tupfen gemustert, die bisweilen eine v- oder herzförmige Form haben.

Singdrossel, birds-online.ch

Alle drei Vogelarten gehören zur Familie der Drosseln, die weltweit rund 175 Arten umfasst. Bei uns kommen neben den erwähnten, noch drei andere Arten vor. Die sehr schön gefärbte und relativ häufige Wacholderdrossel, die aus dem Norden stammende und bei uns oft durchziehende Rotdrossel und die deutlich seltenere, ebenfalls sehr ansehnliche und auf höhere Lagen spezialisierte, Ringdrossel. Diese drei Arten sind dem Familienstand entsprechend stimmlich sehr ausdrucksstark, haben aber nicht so beeindruckende und eingängige Gesänge wie die anderen drei Arten.

Glücklicherweise sind die drei Gesangsmeisterinnen Amsel, Singdrossel und Misteldrossel noch überall recht häufig. Ganz grob haben alle drei Arten ihren Verbreitungsschwerpunkt in Europa, das Vorkommen der Sing- und Misteldrossel reicht bis an den Baikalsee, das der Amsel deutlich weniger weit. Alle drei Arten sind Kurzstreckenzieher und die europäischen Vorkommen verbringen den Winter in den Mittelmeergebieten. Am wenigsten ziehen die Amseln in Mitteleuropa. Von ihnen bleiben viele im Winter auch einfach da. Alle drei Arten haben ein breites Nahrungsspektrum aus tierischen und pflanzlichen Bestandteilen und suchen ihre Nahrung gerne am Boden. Den Amseln kann man zum Teil von wenigen Metern Entfernung zusehen, wie sie rumrennen, stehen bleiben, mit dem Schnabel stochern und etwas runterschlucken, und dann wieder weiter rennen. Sie war noch vor rund 150 Jahren eine Waldbewohnerin und besiedelte erst nach und nach die Kulturlandschaften und Städte. So können wir heute an vielen ungewöhnlichen Stellen ihren Gesang bewundern. Hoffen wir, dass diese Prachtvögel uns weiterhin verzaubern und uns Tore in die Verbindung mit Mutter Natur und den feinstofflicheren Bereichen eröffnen.